Das schwarze und das weiße Pferd

 
 
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„Es ruckelt immer ein wenig, wenn das Leben in den nächsten Gang schaltet.“

Dieses Zitat habe ich gerade auf Facebook gelesen. Nicht zum ersten Mal sehe ich es, doch heute springt es mich quasi an und sofort kommen mir Gedanken in den Kopf, die ich gern mit dir teilen möchte.

Bei mir ruckelt es gelegentlich auch ganz ordentlich. Alte Geister kommen dann noch mal vorbei, um sich in Erinnerung zu bringen. Quälende Fragen beschäftigen mich in diesen Zeiten und manchmal erwische ich mich dabei, mich von diesem schmerzlichen Gefühl einlullen zu lassen. Was ist nur los? Sind es die Wechseljahre? Das Wetter? Die Nachrichten? Ein neuer Sonnensturm, ein rückläufiger Planet oder störende Fremdenergien? Ach, wenn ich es nur wüsste… Doch tatsächlich habe ich keine Ahnung. Es fühlt sich düster an in diesen Tagen. Mein Kopf möchte das so sehr gerne an etwas festmachen, einen guten Grund finden, alles erklären können. Nicht nur für mich, auch für meinen Mann, meine Kinder, meine Freundin…. Das nervt! Schließlich kann doch kein Mensch ständig als grinsende Lichtgestalt durchs Leben laufen, oder?  

Während ich das schreibe, erinne ich mich und ich kann mich in Lichtgeschwindigkeit in diesen Zustand einfühlen. Wie genau war das?

Augen zu, und zack – alles ist wieder da und ich bin voll drin!
(von wegen Vergangenheit, es ist immer Jetzt!).


Um dir meine Gedanken besser verständlich zu machen, begebe ich mich auf eine Bilderebene. Vielleicht magst du mir folgen. Als Symbol nehme ich das Pferd, ein schwarzes und ein weißes. Warum zwei? Weil ich im Rückblick klar sehen kann: für jedes weiße Pferd, was ich bislang reiten durfte, hat auch immer ein schwarzes auf mich gewartet.

Gerade sieht es ganz offensichtlich so aus, als würde ich mich auf einem schwarzen Pferd durch die Lande bewegen. Dieses Pferd läuft stier geradeaus, ohne nach rechts und links zu sehen, ohne die Schönheit der Landschaft wahrzunehmen und ohne dabei dankbar mit den Augen zu rollen. Es wirkt ungezähmt, es ist leicht erregbar und bereit, sich mit Hufen und Zähnen zu wehren, falls es jemand belästigt oder gar aufhalten will. Ich fühle mich wie dieses Pferd und obendrauf noch auf dessen Rücken ganz schön ausgeliefert. Ich habe keine Ahnung, wohin wir uns bewegen und wie lange dieser Ritt noch gehen wird. Mir ist auf jeden Fall klar, dass ich nichts aufhalten darf. Das Leben schickt mich auf diesen wilden Ritt und durch diese „schwarze Energie“, ob es mir nun gefällt oder nicht. Doch auch wenn ich mir dessen bewusst bin, gefallen tut es mir gerade nicht so wirklich.

Keine Frage, das, was ich als ein Ruckeln wahrnehme, ist mein Widerstand.

Intutitiv weiß ich, es gibt noch was zu tun. Bevor der nächste Schritt gemacht werden kann, steht noch etwas an. Und sei es nur mein Einverstanden sein dazu, dass es weitergeht. Verdammt, hätte es nicht das weiße Pferd sein können, das würde mir jetzt besser gefallen!

Neue Bilder vor meinem inneren Auge: In einen harmonischen Miteinander bewege ich mich auf ersehtem weißen Pferd durch die Landschaft, an jeder bunten Blumenwiese Halt machend und die Schönheit der Natur bewundernd. Ich würde in Begleitung reiten, mit einer Person an meiner Seite, mit der ich mich von Herzen verbunden fühle. Sie würde meine Anwesenheit genießen und unseren Freunden erzählen, wie gern sie mit mir zusammen ist. Hmmh, wie schön ist das denn.... Und so reiten wir gemeinsam, umgeben von einer Aura aus hellem Licht und Vogelgezwischer, dem Sonnenuntergang entgegen…

Iiiiiihhhh….gruselig. Das geht gerade gar nicht, denn so fühl ich mich nicht! Friede-Freude-Eierkuchen war gestern! Warum bitte versuche ich, meinen Kopf mit einer Idee zu vernebeln, statt der Realität ein freundliches Willkommen zu entgegnen? Ich hätte es doch nun wirklich besser wissen können. Diese „Das Leben ist schön“- Bildergalerie ist ein dämlicher Versuch, definitiv ein Anfängerfehler!

Soweit, so gut. Danke, dass du mir und meinen Erinnerungen bis hierhin gefolgt bist. Ich lasse nun diese Eindrücke und Emotionen wieder gehen. Ich kann dir berichten, dass ich mich am Ende auf das schwarze Pferd eingelassen habe. Es war nicht nett, es war nicht sanft, es war nicht gefällig. Aber es war echt. Es war reinigend und es war die Vorbereitung auf das Kommende. Ja, nur in der Hölle brennt es so richtig gut und am Ende dieses Rittes, als der letzte Qualm durch war, wurde die Sicht frei. Der nächste Schritt konnte mit mehr Klarheit und Leichtigkeit vollzogen werden. Nur auf dem schwarzen Pferd konnte ich durch diesen Prozess hindurch. Als mir das wirklich klar war und ich dies wertschätzen konnte, da wusste ich ebenfalls, dass diese konkrete Erkenntnis nicht nur für mich allein wichtig war, sondern auch für meine Arbeit. Ab sofort würde ich mehr Empathie mit den Menschen haben, die zur Zeit auf einem schwarzen Pferd unterwegs sind. Vielleicht sogar mit der Frau, die gerade auf einem solchen auf dem Weg zu mir ist. Was wäre meine authentische Reaktion, wenn sie in düsterer Verfassung bei mir eintrifft? Würde ich versuchen, sie aufzuheitern? Würde ich sie bitten, nach plausiblen Gründen für ihre dunkle Stimmung zu forschen? Oder sie gar überreden, das Pferd zu wechseln? Ein paar positive Affirmationen hier, eine kleine Massage dort, Glückseligkeit und Licht visualisieren? Kurzum: Schwarz gegen weiß, egal wie? Mitnichten. Ich würde sie darin bestärken, diesen eher unkontrollierbaren Ritt zu Ende zu bringen, no matter what!

Vielleicht ist ja das nächste Ziel auf ihrer Lebensreise nur auf einem schwarzen Pferd zu erreichen? 

Mit dem weißen Pferd durchs Leben zu traben, das fällt bestimmt leichter. Das schwarze Pferd zu reiten ist hingegen eine Herausforderung, denn auf ihm bist du jeneits der allerseits gemochten und gewohnten Wege unterwegs. Auf dem schwarzen Pferd sitzend bewegst du dich gegen diesen Strom. Dann kann es sein, du gefällst gerade nicht und du bist nicht diejenige, die du sein solltest (oder sein möchtest).

Wie auch immer: ich möchte dich hier und heute ermutigen, aufrichtig und stolz auf dein schwarzes Pferd aufzusteigen, wenn das Leben dich dazu einlädt. Steig auf und galoppiere los. Lass den Wind durch deine Haare wehen und ihn alles davontragen, was gerade nach oben gedrängt wurde. Deine überschäumende Wut, deinen Ärger, deine überschüssige Energie und dein Genervtsein, deinen Widerstand. Es ist nichts als Energie - nichts Gutes, nichts Schlechtes, einfach nur Energie.

Dein wilder Ritt ist beendet, wenn das Pferd von allein anhält, vorher nicht. Dann stell dir vor, wie du elegant von diesem schönen Tier absteigst, es noch einmal sanft streichelts und wartest, bis es in all seiner Kraft, Präsenz und Unbeirrbarkeit mit donnerden Hufen davon galoppiert. Dieses Tier ist wie ein Spiegel für deine natürliche Wildheit, für den ungezähmen und unkonditionierten Teil deines Frau.Seins. Es sybolisiert den Teil deines Lebens, der sich nicht um Erziehung, Moral, Anstand oder gutes Benehmen schert.

Das schwarze Pferd und das weiße Pferd, sie gehören zusammen wie Tag und Nacht, wie Sonne und Mond, wie Tod und Geburt. Eine sanfte Kriegerin reitet beide und deshalb steht diese Bezeichnung nicht im Widerspruch, sondern sie ergänzt sich auf vollkommen Weise.

© Foto oben: Pixabay

 
Heike Becker